Zunehmend beherrscht die Diskussion um die Corona-Epidemie die Frage nach der so genannten „Exit-Strategie“. Sie soll eine „schrittweise Rückkehr zur Normalität“ garantieren, wobei weniger die Lage der Masse der Bevölkerung, sondern vor allem im Mittelpunkt steht, wie „Deutschlands Wirtschaft sicher aus der Corona-Starre“ kommt (Focus Online). In ihrem neuen Frühjahrsgutachten stellen die angeblichen „Wirtschaftsweisen“ der fünf größten Wirtschaftsinstitute die Behauptung auf, dass durch den „Lockdown“ jetzt erst einmal ein harter Einbruch, dann aber eine rasche Erholung erfolgen wird. „Die Ökonomen der Wirtschaftsinstitute begründen ihren Optimismus mit dem Glauben an eine schnelle Erholung.“ In diesem Fall wird aber der Glaube keine Berge versetzen.¹

Nicht nur, dass diese „Weisen“ die Dauer der Pandemie völlig unterschätzen. Wider besseren Wissens wird so getan, als ob die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise nur durch die Corona-Pandemie verursacht wäre und mit ihr überwunden werden könnte.  Dabei hatte eine neue Weltwirtschafts- und Finanzkrise lange vor der Pandemie begonnen. Sie hatte auch schon vor der Pandemie das Potential, die ökonomischen, sozialen und politischen Grundlagen des gesamten kapitalistisch-imperialistischen Systems weltweit zu erschüttern. Dass der Kapitalismus/Imperialismus gesetzmäßig solche Krisen hervorbringt, soll aber nicht Gegenstand der öffentlichen Debatte werden. Deshalb machen die Herrschenden für alle wirtschaftlichen Krisenerscheinungen und die Abwälzung der Krisenlasten allein die Pandemie verantwortlich.

Aus diesem Grund werden auch die Zahlen und Fakten, die beweisen, dass bereits seit Ende 2018 eine neue Weltwirtschafts- und Finanzkrise begonnen hat, in der öffentlichen Debatte ausgeblendet. Dabei sank die Industrieproduktion in der OECD insgesamt (also der 36 größten imperialistischen Länder!) seit Juni 2019 ununterbrochen, und lag Im Februar 2020 nur noch um 3 Prozent über dem Vorkrisen-Stand von 2008. Seit dem 3. Quartal 2018 sank die Industrieproduktion vor allem in den alten imperialistischen Ländern deutlich, wie in Japan (-5 Prozent), England, Frankreich (je -3 Prozent), Italien und Spanien (je -2 Prozent), Deutschland (-5 Prozent) und in den letzten Monaten auch die USA (-1 Prozent). In der Euro-Zone sank die Industrieproduktion bis Ende 2019 um 3 Prozent unter den Höchststand von August 2018. Viele dieser Staaten liegen jetzt weit unter dem Niveau von vor der Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2008.²

Im Rote Fahne Magazin 8/2020 "Das Dilemma des bürgerlichen Krisenmanagements" wird festgestellt: "Im Verlauf der Krise wird sich die Wechselwirkung zu Börsen-, Verschuldungs- und Währungskrisen wie auch zu politischen Krisen verschärfen. In der Krise 2008-2014 konnte überschüssiges Kapital teils noch in neuimperialistische Länder abfließen. Heute stecken diese Länder - wie China, Brasilien, die Türkei oder der Iran - selbst tief im Krisenstrudel. Man muss deshalb davon ausgehen, dass die jetzige Weltwirtschafts- und Finanzkrise tiefer und allseitiger wirken wird als die schon tiefe Krise von 2008 bis 2014."³ Die Entwicklung an der Börse bis Februar 2020 wurde durch eine völlig überhitzte Spekulation auf zukünftige Gewinne gekennzeichnet. Die Kurse lösten sich in ungeheurem Maß von der tatsächlichen Entwicklung der Produktion in den Konzernen. Es entwickelte sich eine immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen der drei bis sechsfachen Steigerung der Börsenkurse nach der Krise 2008 bis zum Februar 2020 und der nur dreiprozentigen Steigerung in der Industrieproduktion in der OECD. Deshalb rauschten mit den ersten Einschränkungen der Produktion mit der Pandemie auch die Börsenkurse um bis zu 40 Prozent nach unten. Die Corona-Pandemie wirkt allerdings nun wie ein Brandbeschleuniger, der alle Länder und viele andere gesellschaftliche Bereiche mit in den Krisenstrudel der Weltwirtschaft und des -finanzwesens reißt. Das durchdringt und befeuert zugleich die anderen Krisen des Imperialismus (Strukturkrisen der Produktion, politische Krisen bis hin zur Weltkriegsgefahr, Hungerkrisen, Flüchtlingskrise usw.).

Das Ende der Corona-Pandemie wird daher nicht das Ende der Weltwirtschafts- und Finanzkrise und der Beginn eines schnellen Aufschwungs sein, wie die bürgerlichen Auguren orakeln.Die Kritik am Krisenprogramm wächst. Die wirtschaftlichen Sorgen der Menschen rücken gegenüber den gesundheitlichen Fragen notgedrungen in den Vordergrund. "Die Akzeptanz für die staatlich verordnete Kontaktsperre, für die Schul- und Geschäftsschließungen bröckelt", berichtet besorgt der Spiegel und spricht von "Stimmungsumschwung. "Vor allem unter den Jüngeren wächst der Unmut. Sie leiden besonders unter Langeweile, Einsamkeit und Zukunftsangst."

Diese Krise verschärft die allgemeine Krise des Imperialismus tiefgreifend und auf lange Zeit. Sie wird die Verfaultheit des kapitalistisch-imperialistischen Systems insgesamt immer deutlicher sichtbar werden lassen.


¹ Alle Zitate aus: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/konjunktur/deutsche-wirtschaft-und-corona-oekonomen-erwarten-herben-einbruch-16716873.html

² Quelle: OECD, Main Economic Indicators

³ Rote Fahne Magazin 8/2020, S. 25