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200 Holocaust-Forscher wenden sich dagegen, Kritik an Israels Regierungspolitik als "Antisemitismus" zu diffamieren

Nach über einem Jahr intensiver Diskussion einigten sich Holocaust-Fachleute und -Forscher auf eine neue Definition für "Antisemitismus". Ihre Jerusalemer Erklärung ist ein harter Schlag für all diejenigen, die jede Kritik am staatlichen Handeln Israels als Antisemitismus diffamieren. Unter den 200 unterzeichnenden Wissenschaftlern aus den Bereichen Antisemitismusforschung, Judaistik und Nahoststudien befinden sich laut Deutschlandfunk die renommiertesten Holocaustforscher aus Israel, den USA und Europa. »Wir haben uns zusammengefunden aus Sorge um den aktuellen Zustand der Antisemitismusdebatte«, so Alon Confoni, Direktor des Holocaust-Instituts der Amstherst-University aus den USA.

antikommunismus faschismus rassismus

»Wer, wenn nicht wir … sind dazu aufgerufen, für Klarheit und Präzision zu sorgen«, erklärte der Holocaust-Experte bei der Vorstellung der Erklärung am 25. März. Sie umfasst 15 Punkte, die definieren, was Antisemitismus ist und vor allem, was es nicht ist. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner ordnen den Kampf gegen Antisemitismus ein in den gesamten Kampf gegen Faschismus und Rassismus, wenn sie erklären, „dass Antisemitismus einige spezifische Besonderheiten aufweist, der Kampf gegen ihn jedoch untrennbar mit dem allgemeinen Kampf gegen alle Formen rassistischer, ethnischer, kultureller, religiöser und geschlechtsspezifischer Diskriminierung verbunden ist.“

Israel-Kritik und Palästina-Solidarität sind nicht antisemitisch

Die MLPD, die für die Losung "Gib Antikommunismus, Faschismus, Rassismus und Antisemitismus keine Chance!" eintritt, begrüßt diese Ausrichtung der Jerusalemer Erklärung. Diese definiert auch, dass die Unterstützung der palästinensischen Forderungen nach Gerechtigkeit und der vollen Gewährung ihrer politischen, nationalen, bürgerlichen und menschlichen Rechte, wie sie im Völkerrecht verankert sind, mit Antisemitismus nichts zu tun haben.

Ebenso wird eine grundsätzliche Kritik an der Politik Israels – unabhängig davon, ob man sie teilt – vom generellen Antisemitismus-Verdacht befreit. Dazu gehört „faktenbasierte Kritik an Israel als Staat. Dazu gehören seine Institutionen und Gründungsprinzipien, seine Politik und Praktiken im In- und Ausland, wie beispielsweise das Verhalten Israels im Westjordanland und im Gazastreifen, die Rolle, die Israel in der Region spielt, und jede andere Art und Weise, in der es als Staat Vorgänge in der Welt beeinflusst. Es ist nicht per se antisemitisch, auf systematische rassistische Diskriminierung hinzuweisen.“

Die politische Sprengkraft der Jerusalemer Erklärung liegt in ihrer ausdrücklichen Abgrenzung gegenüber der sogenannten IHRA-Definition von 2016. Die von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) festgelegte Definition sorgt weltweit dafür, jede - auch fortschrittliche, linke oder revolutionäre - Kritik am israelischen Imperialismus, an der Besatzungspolitik und Diskriminierung der nichtjüdischen Bevölkerung als Antisemitismus zu diffamieren. »Auf eine sehr seltsame Art und Weise hat die IHRA-Definition so eine Art Fetischstatus bekommen«, erklärt Stefanie Schüler-Springorum, die an der Jerusalemer Erklärung mitarbeitete. »Da darf man nicht dran rütteln, und wenn man das tut, ist man per se israelfeindlich«, so die Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin.

Zum Fetisch wurde die IHRA-Definition aber nicht zufällig, sondern im Zug einer allgemeinen Rechtsentwicklung von Bundesregierung und bürgerlichen Institutionen. Denn für den Kampf gegen den faschistischen Antisemitismus und Rassismus war sie nicht nötig, wohl aber, um auch fortschrittliche Kritiken am staatlichen Handeln mundtot zu machen: Im November 2019 machte sich die Hochschulrektorenkonferenz in Deutschland die IHRA-Definition zu eigen. Seither werden fortschrittlichen jüdischen, palästinensischen oder deutschen Kritikern Israels Räume und Rechte entzogen. Dank der Jerusalemer Erklärung, kommen nicht nur die Hochschulrektoren in Erklärungsnöte.

Auf Betreiben der Bundesregierung wurde die IHRA-Definition tief in die Gesellschaft verpflanzt. Die Polizei wird auf dieser Grundlage ebenso geschult, wie Lehrkräfte oder Bildungseinrichtungen aller Art. Selbst einzelne Bundesligavereine haben sie übernommen. Die IHRA wurde in Deutschland als internationale Institution im Sinne des Gaststaatsgesetzes anerkannt als bisher erste und einzige. 2020 hatte Deutschland den Vorsitz in der IHRA, die selbstverständlich auch von Israels Regierung kräftig unterstützt wird. Auch der Beschluss des Deutschen Bundestages gegen die BDS-Kampagne fußt darauf. Wiederholt wurde die IHRA-Definition antikommunistisch missbraucht, um der MLPD Antisemitismus zu unterstellen.  Zuletzt von der Vorsitzenden der Amadeu Antonio Stiftung Anetta Kahane in der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung. Diese Stiftung gehört in Deutschland zu den eifrigsten IHRA-Lobbyisten.

Antisemitismus – eine rassistische Ideologie

Der Antisemitismus ist eine rassistische Ideologie, die von allen fortschrittlichen Menschen zutiefst verurteilt wird. Selbstverständlich auch von den Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Jerusalemer Erklärung. Das trifft sicher ebenso auf viele zu, die bisher die IHRA-Definition übernommen haben. Das Problem ist, dass die IHRA-Definition bestens geeignet ist, politisch instrumentalisiert zu werden, um sämtliche Kritik an Israel zu stigmatisieren. Sie verzerrt die Debatte und lenkt ab von den eigentlichen Gefahren, die durch weltweiten zunehmenden Judenhass und Hassreden von Rechts drohen, so die Wissenschaftler um die Jerusalemer Erklärung.