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Kategorie: Demokratie
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massenüberwachung

Der Bundestag hat mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD durch die sogenannte Novelle über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts den möglichen Einsatz von „Staatstrojanern“ massiv ausgeweitet. Trojaner sind auf Computern und Smartphones eingeschleuste Programme, die eine umfassende Quellen-Telekommunikations-Überwachung (Quellen-TKÜ) erlauben. Eine verschlüsselte Kommunikation im Messenger oder per E-Mail kann normalerweise nicht einfach mitgelesen werden. Seit 2017 durften deutsche Ermittler unter bestimmten Umständen die Geräte von sogenannten Verdächtigen hacken und ihnen eine Überwachungssoftware unterschieben, um ihre Kommunikation mitzulesen. Nun wird auch dem Inlandsgeheimdienst und allen 19 Nachrichtendiensten in Deutschland offiziell erlaubt, direkt auf x-beliebigen elektronischen Geräten verfasste Klartexte vor der Verschlüsselung mitzulesen.

Offiziell gestrichen wurde, dass auch auf gespeicherte, also nicht nur aktuell laufende Kommunikation zugegriffen werden darf. Ist eine Überwachungssoftware aber erst mal auf dem Rechner installiert, wer soll die Überwacher noch davon abhalten, auf sämtliche Daten zuzugreifen, oder sogar gefälschte Beweise auf dem betroffenen Rechner zu speichern? „Dokumente könnten theoretisch auch verändert oder fremde Dateien platziert werden“, so der Göttinger Rechtsexperte Dr. Benjamin Rusteberg. Eine wirksame Kontrolle der Einsätze von Staatstrojanern ist praktisch unmöglich - selbst wenn sie gewollt ist.

Zu dieser Bespitzelung bedarf es jetzt auch keines konkreten Tatverdachts mehr. Staatstrojaner können nun auf bloßen „Anfangsverdacht“ hin gegen Personen eingesetzt werden, die gar keine Straftat begangen haben. Der Inlandsgeheimdienst und die Nachrichtendienste müssen die Betroffenen nicht informieren, wodurch sie verhindern können, dass diese sich auf dem Rechtsweg gegen Überwachungsmaßnahmen wehren. Mit dieser Gesetzesänderung können auch Journalisten ständig ausgespäht werden. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ kritisiert den drohenden gravierenden Schaden für die Pressefreiheit und den digitalen Quellenschutz. Das Vertrauen von Informanten in die Vertraulichkeit ihrer Kommunikation mit Medienschaffenden würde massiv untergraben.

Die Bundesregierung verpflichtet Provider (Anbieter von Kommunikationsdiensten) zur „Unterstützung bei der Umleitung von Telekommunikation“, wenn sie dazu von Behörden aufgefordert werden. Damit die Überwachungssoftware überhaupt auf dem Zielgerät landen und dort unbemerkt arbeiten kann, müssen Sicherheitslücken in der Hardware, dem Betriebssystem oder einzelnen Anwendungsprogrammen bewusst aufrecht erhalten werden. Auch die Vorinstallation von Überwachungssoftware auf Endgeräten kann durch Druck auf Hersteller und Provider erzwungen werden.

Das Ganze wird vordergründig ausgegeben als Teil des Kampfes gegen schwere Kriminalität und gegen den "Rechtsterrorismus". So Uli Grötsch von der SPD, der sagte, seiner Partei gehe es bei den neuen Gesetzen vor allem um den Kampf gegen den Rechtsterrorismus. Aber die Tatsache, dass ausnahmslos alle faschistischen Attentäter der letzten Zeit und auch die Chefs krimineller Clans schon vorher polizeibekannt waren und elektronisch überwacht wurden, zeigt, dass "mangelnde Informationen" ganz offensichtlich nicht das Problem sind, das mit der Ausweitung der Bespitzelung gelöst werden soll. Der faschistische Attentäter Anis Amri, der am 19. Dezember 2016 zwölf Menschen tötete, konnte monatelang unter den Augen des "Verfassungsschutzes" agieren, ebenso der faschistische Mörder von Walter Lübcke.

Der Zweck der Gesetzesänderung ist vor allem der politische Einsatz gegen Revolutionäre. So sollen "verfassungsfeindliche Bestrebungen“ zukünftig durch Staatstrojaner überwacht werden. Diese sogenannte Verfassungsfeindlichkeit ist aber ein Synonym für revolutionäre Gesinnung. Und das durch den Verfassungsschutz, dessen Agenten oft genug selbst in kriminelle Delikte verwickelt sind, Straftaten provozieren und in faschistischen Netzwerken agieren.

Es braucht nur die Abwehr „einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes“ behaupet werden. Als neue Begründung hinzugekommen ist die Kategorie „Delegitimierung des Staates“. Damit können alle Personen, Gruppen und Parteien bespitzelt werden, die die sogenannte „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ dieser kapitalistischen Gesellschaftsordnung infrage stellen. Damit ist eine Überwachung allein aufgrund der politischen Gesinnung möglich. Diese gab es zum Teil auch schon bisher, aber jetzt hat sie den ausdrücklichen gesetzlichen Segen. Zugleich wird der "Verfassungsschutz" auch mit Rechten ausgestattet, die eigentlich nur den polizeilichen Behörden zur Verfügung standen. Das sollte eigentlich nach dem 2. Weltkrieg wegen der Erfahrungen mit der faschistischen Gestapo verboten bleiben.

Der umfassende Ausbau der Bespitzelung durch „Staatstrojaner“ ist Teil der Faschisierung des Staatsapparats, zu der auch die Förderung faschistischer Gruppen durch Teile des Staatsapparats gehört und mit dem wachsender Terror gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung vorbereitet wird. Die Herrschenden bereiten sich damit auf künftige, härtere Klassenauseinandersetzungen vor. Wenn sie von einer jetzt verbesserten „inneren Sicherheit“ sprechen, ist damit vor allem die Absicherung des Kapitalismus gemeint - vor der wachsenden Masse von Menschen, die nicht mehr bereit sind, sich mit seinen zunehmenden tiefen Krisen und der Abwälzung der Krisenlasten auf ihren Rücken abzufinden.

Welche Blüten das treibt, zeigt, wie Stefan Engel zum "Gefährder" wurde: Unter dem Vorwand, einen Auftritt der revolutionären Musikgruppe „Grup Yorum“ auf dem Rebellischen Musikfestival 2018 verhindern zu wollen, wurde Stefan Engel, bis 2017 37 Jahre Vorsitzender der MLPD und aktuell der Leiter ihres theoretischen Organs REVOLUTIONÄRER WEG, als einziger der Schirmherren des Festivals aus antikommunistischen Motiven zum „Gefährder“ erklärt. Es wurde ihm Strafverfolgung als potentiellem "Terroristen" angedroht. "Gefährder" sind Freiwild für die Überwachungsmaschinerie und die politische Verfolgung. Gegen seine Kriminalisierung und Diffamierung hat Stefan Engel vor dem Verwaltungsgericht Meiningen Klage erhoben mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit dieser „Gefährdereinstufung“ festzustellen. Nachdem der Prozess drei Jahre lang verzögert wurde, findet am 3. August 2021 um 10 Uhr in Meiningen (Thüringen) endlich der Termin zur Verhandlung über die Klage statt. In Erfurt wird es an diesem Tag eine Demonstration geben.

Von ba,