Eine aktuelle Anfrage der Bundestags-Fraktion der Linkspartei an das Sozialministerium deckt auf: 2020 lag die Durchschnitts-Rente in den östlichen Bundesländern nach mindestens 40 Versicherungsjahren bei 1252 Euro im Monat. Im Westen waren es 1428 Euro. Diese Zahlen verdeutlichen, dass in der aktuellen Auseinandersetzung um Lohn- und Rentennachschläge angesichts der steigenden Inflation die Frage der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West im Kampf mit berücksichtigt werden muss. Von den Herrschenden wird bewusst die Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland aufrechterhalten.

nachschlag

Nach über 30 Jahren arbeiten Kolleginnen und Kollegen in Ostdeutschland durchschnittlich drei Stunden länger in der Woche als im Westen. Und dies bei Löhnen, die 2019 im Durchschnitt fast 25 Prozent unter Westniveau lagen. Im Durchschnitt - das können im krassesten Fall schon auch mal 73 Prozent Unterschied sein!¹

Es wird deutlich, wie nötig der Kampf um höhere Löhne und Lohnnachschlag in allen Betrieben ist. Und es wird deutlich, dass der Kampf um die Angleichung der Löhne nach oben keinesfalls nur auf die anstehenden Tarifrunden beschränkt werden darf. Denn nur 45 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland arbeiten in Betrieben mit Tarifbindung – während es in Westdeutschland 53 Prozent sindDie horrende Inflation würde dann dazu führen, dass diese Ost-West-Schere noch weiter auseinander klafft, wenn nur die Tariflöhne steigen. Deshalb muss durchgesetzt werden, dass Tariflöhne bezahlt werden. Es müssen aber auch die Tariflöhne für allgemein verbindlich erklärt werden, damit sie gelten. Der Kampf um höhere Löhne muss also auch im Geist der Kampfeinheit der Arbeiterklasse in Ost- und Westdeutschland geführt werden.

Von der neuen Bundesregierung ist in Sachen Angleichung und Mindestlöhnen nichts zu erwarten. Bereits im Koalitionsvertrag lies sie verlautbaren: „Wir wollen die Tarifautonomie, die Tarifpartner und die Tarifbindung stärken. ... Dies befördert auch die nötige Lohnangleichung zwischen Ost und West.“ (S. 71) Was nichts anderes heißt als: Da machen wir nichts! Wenn aber dann tatsächlich die Arbeiterklasse höhere Löhne fordert, dann gibt die Bundesregierung schnell ihre Zurückhaltung auf, wirft ihre Floskeln von der „Tarifautonomie“ über Bord und ergreift Partei für die Monopole. So warnte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Interview mit der Bild am Sonntag vor zwei Wochen: „...dürfen wir nicht in eine Spirale eintreten, in der sich Löhne und Preise gegenseitig hochschaukeln.“²

Herrn Lindner dürften die hohen Preise nicht stören. Ob der Liter Diesel 2,20 Euro oder 1,60 Euro kostet, kriegt er wahrscheinlich nicht einmal mit. Höhere Preise sind aber nicht Ergebnis des Kampfes der Arbeiterinnen und Arbeiter um höhere Löhne, sondern des gesetzmäßigen Strebens der Monopole nach Maximalprofit. Treffend heißt es im sozialpolitischen Kampfprogramm der MLPD: „Was mit dem Märchen von der Lohn-Preis-Spirale gemeint ist: Die Monopole erhöhen die Preise, um ihren Maximalprofit zu steigern. Wir sollen dem kampflos zusehen. Das kommt nicht in Frage! Auf die Preise im Handel haben die Werktätigen keinen unmittelbaren Einfluss – auf den Lohn schon – durch den organisierten Einsatz ihrer Kampfkraft! Außerdem: Der Lohn- und Gehaltsanteil am Industrieumsatz ist von 1991 bis 2020 von 21,4 auf 17,4 Prozent gesunken. Im 3. Quartal 2021 erzielten die DAX-Konzerne Rekordgewinne“.

Wie heuchlerisch die Verzichtsaufrufe der bürgerlichen Politiker sind verdeutlicht das Beispiel Siemens: Seit Jahren kämpft die IG Metall in den ostdeutschen Siemens-Standorten für eine Angleichung der Arbeitszeit von 38 Stunden / Woche (Ostdeutschland) auf 35 Stunden / Woche, wie sie in Westdeutschland seit Jahrzehnten üblich ist. Immer wieder wurde das abgeschmettert, mit dem „Argument“: „Zu teuer“. 2021 verzeichnete Siemens nach eigenen Angaben einen Nettogewinn von 6,7 Milliarden Euro! Mit diesen Profiten wäre eine sofortige Angleichung bei vollem Lohnausgleich problemlos finanzierbar. Stattdessen greift die Jahr ausgehandelte Vereinbarung zwischen der IG Metall und Siemens diese Profite nicht wirklich an. Schrittweise wird die Arbeitszeit bis 2026 (!) auf 35 Stunden angeglichen, was die Beschäftigten aber über das sogenannte „Transformationsgeld“ auch noch selbst bezahlen dürfen.

Die Arbeiterklasse muss lernen, mit der ideologischen Begleitmusik der Herrschenden zu den verschiedensten Krisen des Kapitalismus fertig zu werden. Deshalb: Mitglied in den Gewerkschaften werden! Die Gewerkschaften müssen zu Kampforganisationen gemacht werden!  Im Kampf um höhere Löhne gilt es, für höhere Tariflöhne, aber auch für höhere Löhne überhaupt zu streiten - und diese müssen dann für allgemein verbindlich erklärt werden!

Gerade der Kampf um Lohnnachschlag und Angleichung von Löhnen, Renten und Arbeitszeit verdeutlichen auch: Die bisher gültigen „Spielregeln“ zum Aushandeln von Tarifverträgen reichen dafür nicht aus. Notwendig ist, dass sich die Arbeiterklasse das Recht auf selbständige Streiks nimmt und gleichzeitig für ein vollständiges, allseitiges und gesetzliches Streikrecht eintritt.