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„Es ist die größte Stationierung russischer Truppen überhaupt“, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, und er nannte die Zahl von 150.000 Soldaten samt Feldhospitälern. Eine Quelle wollte er nicht nennen. Geheimdienste sind nun mal geheim.

Später korrigierte eine Sprecherin die Zahl: Man solle von „mehr als 100.000“ russischen Soldaten sprechen. Diese Meldung kam nicht diese Woche, sondern am 19. April 2021 über die "Deutsche Welle" und viele andere Medien. Wenn Josep Borrell nicht gelogen hat, stehen also schon seit zehn Monaten 100.000 russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine. Seitdem werden, wenn nicht irgendjemand lügt, pausenlos weitere Kräfte an die Grenze verlegt. Aber die Zahlen bleiben seltsam konstant.

Im November hat der ukrainische Präsident Selenskyi 100.000 Soldaten gesichtet.¹ Am 11. Dezember hat der Stern 75.000 bis 100.000 ausgemacht, in 100 Taktischen Bataillonsgruppen. Das ist plausibel, denn eine solche Einheit hat in der russischen Armee rund 800 Soldaten.² Am 27. Januar waren es dann laut Zeit „bis zu 120.000“ Soldaten, am 3. Februar laut MDR sogar 130.000. Drei Tage später meldete der Spiegel 110.000 Soldaten. Etwas Schwund ist immer.

Erstaunlich ist dann allerdings die Meldung von n-tv und anderen Medien am 6. Februar, dass die Geheimdienste herausgefunden haben, dass in den letzten 14 Tagen die Zahl der Taktischen Bataillonsgruppen von 60 auf 83 aufgestockt wurde und dass weitere 14 Gruppen „unterwegs“ seien. Entsprechend gab es also am 23. Januar nur rund 48.000 russische Soldaten und am 6. Februar immerhin 66.400!

Einen Tag später meldete der Economist erneut 130.000 Soldaten. Und am 10. Februar gab es in MDR-Info ein Interview mit Riho Terras, ehemaliger Befehlshaber der estnischen Streitkräfte. Er wusste genau, dass Russland bereits 160.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine stationiert hat. Gut, es ist Olympiade und da gibt es täglich neue Höchstleistungen. Aber man muss auch aufpassen, ob nicht Doping im Spiel ist. Schließlich verfügt die russische Armee offiziell über nicht mehr als 168 solche Taktischen Bataillonsgruppen.³ Das entspricht etwa 135.000 Soldaten - wenn die gesamten aktiven Einsatzkräfte Russlands an der ukrainischen Grenze stehen.

Nur mal zum Vergleich: Als die vereinten Streitkräfte des „Warschauer Pakts“ 1968 die Tschechoslowakei überfallen und besetzt haben, wurden 250.000 Soldaten gebraucht – für einen Angriff auf ein Land mit einem Viertel der Fläche der Ukraine – mit Überraschungsmoment. Die ständig neuen Zahlen über russische Truppen beweisen eigentlich nur zwei Dinge:

  1. Dass Russland ständig Truppen an der Grenze hat und
  2. Dass die Geheimdienste aller imperialistischen Länder lügen.

Quellen & Links

¹ Uadrisis.org, 15.11.21

² General Gerasimov in: Russian Defence Policy, 17.9.16 oder The Economist, 7.2.22

³ Verteidigungsminister Shoigu in Tass, 10.8.21