hoffnung

Wie bekannt wurde, sollen die Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) Anfang 2021 von 1,1 Prozent auf 1,3 Prozent steigen. Damit werden den Versicherten zusätzliche 3 Milliarden Euro mehr abgeknöpft. Nachdem es vor kurzem noch Jubelberichte über Überschüsse der Krankenkassen von 1,3 Mrd. Euro im ersten Halbjahr 2020 gab, hat der weitsichtige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun eine „Finanzierungslücke“ und ein „Milliardenloch“ von 16 Milliarden Euro 2021 orakelt. Gestopft werden soll dieses Loch neben höheren Zusatzbeiträgen noch durch 5 Milliarden Euro Steuergelder und 8 Milliarden Euro aus den Reserven der Krankenkassen.

Um das von Jens Spahn und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vereinbarte Maßnahmenpaket möglichst gut zu verpacken, wird es flugs „Stabilisierung der Zusatzbeiträge“ genannt. Stolz verkünden sie, dass die festgelegte Höchstgrenze der Sozialversicherungsbeiträge von 40 Prozent vom Bruttolohn nicht überschritten wird. Diese sogenannte „Sozialgarantie“ der großen Koalition ist eh schon eine Mogelpackung. Was ist überhaupt sozial daran, wenn nahezu die Hälfte vom Bruttolohn abgezogen und als „Lohnnebenkosten“ bezeichnet wird?

Mit der geplanten Erhöhung bleibt die Belastung mit 39,95 Prozent auch nur minimal unter der 40-Prozent-Grenze. Außerdem stimmt es nicht, dass diese Grenze eingehalten wird: Bei kinderlosen Versicherten sind es wegen ihres Zusatzbeitrags zur Pflegeversicherung schon 40,2 Prozent vom Lohn. Zugleich wird auch das seit dem 1. Januar 2019 in Kraft getretene Gesetz wieder unterlaufen, was die paritätische Zahlung des Zusatzbeitrags vorschreibt. Die geplante Erhöhung der Zusatzbeiträge sollen wieder allein die Versicherten schultern.

Kritik an den Plänen kommt von verschiedenen Seiten. Die Gewerkschaft ver.di lehnt es berechtigt ab, dass die Beitragssteigerungen - begründet mit der Corona-Krise - auf die Versicherten abgewälzt werden. Bürgerliche Politiker, die auf Seiten des internationalen Finanzkapitals stehen, argumentieren anders. So empört sich CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß gar, es sei „Sozialismus“, wenn „Krankenkassen ausgeplündert (würden), die solide gewirtschaftet“ hätten.² Er spricht von Sozialismus, tatsächlich gab es eine Umverteilungspolitik bei den Kassen.

Was ist da los? Ein Blick hinter die Kulissen lohnt sich.

Der Hintergrund ist eine große Umverteilungspolitik. Der Überschuss der Krankenkassen im ersten Halbjahr 2020 kam zustande, weil ihre Ausgaben durch die Corona-Pandemie zurückgingen. Viele Leistungen, wie planbare Untersuchungen und Operationen, fielen während der Pandemie aus. Viele Patienten sind aus Angst vor Corona nicht mehr zum Arzt oder ins Krankenhaus gegangen. Gleichzeitig hat der staatliche Gesundheitsfond, aus dem die Krankenkassen ihre Kosten erstattet bekommen, im ersten Halbjahr 2020 ein Defizit von 7,2 Milliarden Euro verzeichnet. Aus diesem Fond, in den die Beiträge der Arbeitgeber, der Versicherten und ein Bundeszuschuss fließen, wurden hohe Ausgleichszahlungen für freigehaltene Krankenhausbetten und Zuschüsse für die Schaffung neuer Intensiv- und Beatmungsbetten bezahlt. Davon haben vor allem die großen Klinikkonzerne profitiert.

Diese Umverteilungspolitik findet schon seit den 1980er-Jahren statt. Das Buch der MLPD „Götterdämmerung über der 'neuen Weltordnung'“ hat diese Entwicklung anschaulich untersucht. Den Monopolverbänden waren die paritätischen Sozialversicherungen als „sozialer Klimbim“ ein Dorn im Auge. Der BDI³ forderte 1998 eine „Reform“ der Sozialversicherungen, unter anderem bei der Rente und mit der Einführung von Zusatzbeiträgen zur Krankenversicherung, die dann demagogisch mit „Wahltarifen“ und „mehr Freiheit“ begründet wurden. Die damalige Schröder/Fischer-Regierung setzte das brav um. Die „Freiheit“ besteht in der Entlastung der Kapitalisten von den Beiträgen zu Sozialversicherungen. Die „Wahl“ der Versicherten besteht zwischen unzureichenden billigeren Kassenleistungen oder teuren Zusatzleistungen für notwendige Dinge wie Brillen, Zähne usw. Banken und Versicherungen bekamen zusätzliche Einnahmen von Hunderten Milliarden Euro. „Da die Versicherungskonzerne ihr Kapital zu einem erheblichen Teil in Aktien anlegen, werden damit die Systeme der sozialen Sicherung unmittelbar an die Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Systems gebunden.“⁴

Das hat erstens überhaupt nichts mit Sozialismus zu tun und zweitens zeigt es, dass nicht die Corona-Pandemie Schuld an der Misere der Krankenversicherung ist, sondern die kapitalistische Profitwirtschaft, die seit 2018 in der tiefsten Weltwirtschafts- und Finanzkrise steckt. Sie vertieft die allgemeine Krisenhaftigkeit des Imperialismus und zeigt die Unfähigkeit der Herrschenden, auch nur ein grundlegendes Problem der Menschheit in den Griff zu kriegen, geschweige denn, es zu lösen.

Die weitere Erhöhung der Zusatzbeiträge zeigt, wie künftig die Krisenlasten auf die Werktätigen und die Familien abgewälzt werden. Die MLPD fördert und organisiert den berechtigten Kampf dagegen. Sie fordert  seit 2011: „Volle Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge durch eine umsatzbezogene Unternehmenssteuer!“ Mit einer umsatzbezogenen Sozialsteuer von etwa 7 Prozent hätten im Jahr 2016 alle Sozialversicherungsbeiträge, die in Deutschland 438,2 Milliarden Euro betrugen, gezahlt werden können. Kleinbetriebe mit einem relativ hohem Lohnanteil am Umsatz würden deutlich entlastet. Aus den Beiträgen der Monopole könnten aktuell auch die Lohnfortzahlungen der Klein- und Mittelbetriebe finanziert werden, die unverschuldet in Not geraten sind – und nicht aus Steuergeldern. Im Unterschied zum Kapitalismus steht im Sozialismus das Wohl der Menschen im Mittelpunkt.

Quellen & Links

¹ www.aerztezeitung.de/Politik/Spahns-geplanter-Griff-in-Kassenreserven-ruft-Kritik-hervor-412875.html

² ebenda

³ Bund der deutschen Industrie

⁴ Stefan Engel „Götterdämmerung über der 'neuen Weltordnung'“, S. 334